Guido Rohm: Eine kurze Geschichte der Brandstifterei

Rohm_BrandstiftereiEin Monolog, ein einziger Satz, von dem man auf Seite 12 annehmen könnte, der Ich-Erzähler sei der Autor selbst, denn er will eine Geschichte schreiben mit dem Titel “Eine kurze Geschichte der Brandstifterei”. Aber ist der Autor wirklich der Ich-Erzähler? Ein verblüffendes “Mise en abyme”-Spiel beginnt, das sich noch an weiteren Stellen des Buches findet. An einer Stelle zitiert der Text sogar sich selbst, wiederholt seinen Anfang als Gedankengang des Protagonisten, von dem wir natürlich den Namen nicht erfahren, aber fein gestreute Indizien, die kriminalistisch gelöst, den Autor als Ich-Erzähler ermitteln könnten. Dieses kleine Verwirrspiel mit dem Leser macht einen der Reize dieser Erzählung aus. Man weiß nicht so recht, durch welche Tür im Spiegel des erzählenden Bewusstseins man als nächstes treten wird und in welchem Stockwerk man dann landet. Der namenlose Ich-Erzähler bewegt sich in der Geschichte räumlich nur unwesentlich. Zunächst besucht er seinen Vater, der allein und dement-autistisch den Kontakt zur Außenwelt verloren hat, und sitzt nun, die Regionalzeitung lesend, an dessen Tisch, wo er sich auch an seine Mutter erinnert,

die sich in den Tod flüchtete, der ihr im Badezimmer in Form von Schlaftabletten aus dem Schrank in die Hand fiel.”

Spätestens bei diesem Satz offenbart sich die Kunst des Erzählers, die banale Situation der Realitätsebene lakonisch und ironisch zu Literatur werden zu lassen. Immer wieder findet man solche Sätze wie kleine Goldstücke. Scheinbar lapidar hingeworfen, aber von einer feinen melancholischen Komik, die sich nicht lustig macht, sondern die einen Gemütszustand durch imaginierte Phantasie überwinden will. Die trostlos anmutende Befindlichkeit eines Sohnes, dessen Großeltern lange tot sind und dem der nach dem Suizid der Mutter nur noch seniler gewordene Vater nur noch als Belastung erscheint, die er an eine von ihm bezahlte Pflegerin Frau Bronner delegiert hat. Bei seinem Besuch findet er eine aufgeschlagene Zeitung, in der auf Seite 6 und 7 (auch der Leser befindet sich gerade bei dieser Aussage des Erzählers auf Seite 6 und 7!) von einem Brandstifter berichtet wird, der in der Gegend Gebäude, bisher aber keine Häuser (!), abfackelt. Die Zeitung, von der “ich mir nicht vorstellen kann, dass Vater darin gelesen hat, und dies, obwohl meine Vorstellungskraft der stärkste Muskel meines ansonsten schwachen Körpers ist,”.

In Absätze ist das kleine Heft von ca. 30 Seiten unterteilt, die eine gewisse gedankliche Länge haben, die der Leser als durchaus angenehm empfinden mag in seiner gelegentlichen Orientierungslosigkeit, auf welcher Realitätsebene er sich denn nun gerade befindet. Manchmal besteht so ein Absatz aber auch nur aus ein paar Worten oder gar aus nur einem Wort. Jeder Absatz endet nur mit einem Komma, lediglich der letzte endet mit einem abschließenden Punkt. Nur der Anfang der Erzählung beginnt mit einem groß geschriebenen Wort, der Leser bleibt Gefangener oder Mitreisender des erzählenden Bewusstseinsstroms. Wo die Zeitung Realität abzubilden versucht, verwandelt die Erzählung sich selbst ständig in fiktionalisierte Literatur. Man nennt das heute wohl auch gern das Selbstreferentielle der Postmoderne.
Ab Seite 10 versetzt sich der Ich-Erzähler ein bisschen zu intensiv in die Lage des Brandstifters und der Leser beginnt den Verdacht zu hegen, er selbst könne dieser Brandstifter sein. Der Sohn spricht mit sich selbst, weil der Vater sprachlos geworden ist. Kleine Binnenerzählungen schweifen dann von dieser einer Rahmenhandlung ähnelnden Gegenwartsebene ab.

In der ersten verarbeitet er den von den  orthodoxen Islamisten, den “Alten”, verfolgten ägyptischen Literaturwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid, der eine historisch-kritische Auslegung des Korans forderte und ihn aus seiner Zeit heraus auch als poetische Literatur verstand. Vor einem ägyptischen Gericht wurde 1995 die Anklage gegen ihn stattgegeben und seine Ehe in der Folge für ungültig erklärt. Abu Zaid floh mit seiner Frau ins holländische Exil und lehrte bis zu seinem Tod im Juli 2010 als Professor für Humanismus und Islam an der Universität von Utrecht.

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(Puppenspiel des vierjährigen Goethe)

In der zweiten Binnengeschichte phantasiert sich der Erzähler in ein Kind, das von seinem Vater mit klassischer Literatur, den eigenen Gedichten, verprügelt wird. Unschwer klingt schon in dem versteckten Zitat “ich studiere [die Zeitung] durchaus mit heißem Bemühen, auch wenn das nicht meine Worte sind,” der Vergleich mit Goethe an. Das unfolgsame Kind wird vom Vater verachtet. Die folgende Selbstironie des Autors über den jungen “Good for nothing” lässt mich schmunzeln: “am Ende wird er noch ein Autor, der nichts verdient, der die Zeitung nach Ideen durchstöbert,” aber die Vaterfigur schlägt nicht nur das Kind in seinem Arbeitszimmer umgeben von den Klassikern Hölderlin, Rilke, Schiller und Benn, sondern auch die Mutter, und das obwohl seine Gedichte von Liebe handeln.

Nun beginnt eine dritte Geschichte, “der Junge erträumt sich einen Roman,” “der Endzauberer”, in dem ein “Antigoethe”, der in seiner Kindheit ein Puppenspiel geschenkt bekommt,” nicht nur das Haus seiner Eltern am Frauenplan in Frankfurt mitsamt dem Vater (Goethe) verbrennt, sondern einen Feuerbrand durch ganz Europa auf seinen Wegen über Straßburg nach Weimar legt. Das zerstörerische Feuer des “Endzauberers” hat mich an dieser Stelle auch das Kind Hitler und die Bücherverbrennungen im Dritten Reich assoziieren lassen. Überhaupt wird alles verbrannt, die Bibliotheken und die gesamte humanistische Aufklärung gleich mit. Selbst das amerikanische Napalm des Vietnamkrieges wird zur Waffe dieses durch die Geschichte rasenden “Endzauberers”.

Am Ende sitzt der Erzähler wieder am Küchentisch seines eigenen Vaters auf der Gegenwartsebene, und dass er die Tischdecke und das ganze Haus des Vaters anstecken wird, ist keine große Überraschung mehr als folgerichtige späte Rebellion gegen die erlittenen autoritären Übergriffe. Den Leser aber lässt es im Zweifel darüber zurück, ob es sich hierbei nicht auch nur um eine weitere vom Erzähler erfundene Geschichte handelt. Er bittet seinen Vater um Verzeihung, aber er weiß genau was er tut, nämlich diese bleibende Kurzgeschichte zu schreiben, bis der letzte “Endzauberer” kommt und ihn selbst in seinem Sarg verbrennen lässt. Das Motto vom Anfang “Nur wer brennt, kann andere entzünden” bewahrheitet sich in der Form, als der Erzähler den Vater selbst als Verbrannten ein Denkmal mit seiner Geschichte setzt. Er weiß, mit welchen Mitteln man das Feuer der Literatur entfachen kann. Das Stilmittel der Wiederholung einer Textpassage kam mir schon aus der Erzählung “Lena Ponce” des Schriftstellerkollegen Alban Nikolai Herbst bekannt vor. In beiden Fällen macht der Einsatz Sinn und ist an der betreffenden Stelle klug mit dem Erzählfluss verwoben. Nur zu häufig sollte man beim Leser wegen des Abnutzungseffektes nicht darauf bauen.

Originell wird hier die psychologische Auseinandersetzung mit einer Vaterfigur und die banale Story über einen Brandstifter in einer lokalen Zeitung miteinander vermischt. Diese phantasievolle Steigerung der alltäglichen Situation des zum Pflegefall werdenden Vaters, die ein böses Ende nimmt, ist nicht die erste Kurzgeschichte, in der das Feuer der Phantasie Guido Rohms loderte. Kurze Geschichten gab es schon in dem Erstling “Keine Spuren”. Auf neue Geschichten in einem zweiten Sammelband darf man sich freuen. Das Genre der Short Story liegt dem Autor.
Auf Seite 15 offenbart das Autor/Erzähler-Ich sein poetisches Programm: “denn die Zeitungen sind wahre Schatztruhen für die Literatur … alltägliche Romane, die nur umgeschrieben werden müssten,”. Kein einziger Dialog stört das Kopftheater, das Kopfleben wie im verschlossenen Kopf des Vaters in dieser Phantasiegeschichte. Das Gegenüber ist der Leser. Einige Indizien wie der sich nicht verkaufende Roman, das schlechte schriftstellerische Geschäft des Erzählers, suggerieren eine Kongruenz mit dem Autor, die aber nie deckungsgleich wird. Wir befinden uns schließlich in Literatur und nicht in der Realität, die diese nur abzubilden versucht, oder doch nicht?
Am besten haben mir die kleinen “Nuggets” und bildhaften Vergleiche in der Erzählung gefallen:

die schon vor so vielen Jahren auf den Dorffriedhof gezogen sind,”
das Messer langsam hin- und herstreichend, als würde sie ein unerhörtes Musikstück dirigieren,”
leere Augen, Augen die an einen Straßengraben erinnern, man wartet förmlich auf den Wagen, der von der Straße abkommt, um darin zu landen, damit er endlich gefüllt ist,”

Aus bibliophiler Sicht hätte ich dieser Erzählung ein schöneres Äußeres gewünscht, einen festeren Umschlag, ein etwas größeres Format, Etwas aufwendigere Aufmachung hätte nichts geschadet, so kommt es nur als geklammertes Schreibheft daher. Aber das ist sicherlich nur den Kosten geschuldet. Diese Kurzgeschichte hätte eine schönere, äußere Form verdient.

Auch in der Figur des Professors aus Kairo, der “seinen Tee gern im Mondlicht trank” mit seiner grenzenlosen Liebe zu seiner Frau, die in dem Bild einer alten Blinden am Straßenrand eine Metapher findet, steckt der Autor/Erzähler. Hier brennt dann das Gegenfeuer, die Liebe.
Brennt es in der Zeitung, brennt es im Kopf, dann brennt es in der ganzen Welt. Guido Rohm brannte, als er diese “Kurze Geschichte der Brandstifterei” schrieb.

Bisherige Bücher des Autors:

  • Keine Spuren. Jens Seeling Verlag, Frankfurt am Main 2009.  Kurzgeschichten
  • Blut ist ein Fluss. Jens Seeling Verlag, Frankfurt am Main 2010. Leseprobe
  • Eine kurze Geschichte der Brandstifterei. Textem-Verlag, Hamburg 2010. 36 S. Leseprobe

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Lesung:
Buchpräsentation und Lesung mit Guido Rohm und Donata Rigg: “Weiße Sonntage” mairisch verlag
Samstag 15.1.2011, 19 Uhr
Strips & Stories
Seilerstrasse 40
20359 Hamburg