Der nackte Rücken

Kiril_Bozhkov

Ich hatte die Ehre, die drei Grazien mit meinem Wagen zu chauffieren. Gudrun, Sabine und Petra wollten für eine Hochzeitsfeier Kleider leihen und wussten von einem Verleihgeschäft in irgendeinem kleinen Dorf. Überreden mussten sie mich nicht. Mein geradezu labiler Zustand, meine Gefühlswelt für Sabine betreffend, sehnte sich fast nach einem Opfer. An einem Nachmittag fuhren wir nach Dienstschluss, wir arbeiteten alle in derselben größeren Bibliothek, in meinem blauen Ford Escort Kombi oder war es doch der gelbe Mercedes Diesel, zu diesem ganz normalen Familienhaus auf dem Dorf, wo uns eine Dame mittleren Alters in die Kellerräume eine Treppe hinab führte.

An die Fahrt dorthin kann ich mich nicht mehr erinnern, unser Gedächtnis ist selektiv, wie man weiß. Ich weiß nicht einmal mehr, ob es nicht Petra selbst war, die heiraten wollte. Gudrun war dominant und emanzipiert, gepaart mit der dazu gehörigen Intelligenz, eine selbstbewusste, nicht unattraktive junge Frau, nicht sehr groß und eher von athletischer Figur. Das runde Gesicht passte eigentlich nicht zu ihrem manchmal aggressiven Auftreten. Sie wirkte psychisch etwas unausgeglichen, konnte aber auch durchaus witzig sein und war ein guter Gesprächspartner. Petra wirkte äußerlich wie der Inbegriff einer Bürovorstandsdame, mit Brille und kurzer Frisur, immer korrekt aber auch noch sehr jung und mit sich selbst verspielt. Sie hatte allerdings schon eine Scheidung hinter sich und ein Kind, jetzt wollte sie ein neues Glück starten. Eigentlich hatte ich meine Aufgabe, die drei mit dem Auto ans Ziel zu bringen ja erfüllt, aber man gestand mir dann doch die Rolle eines nicht ganz so wichtigen Beraters zu, der etwas verloren in der Ecke stand. Die Damen ließen sich verschiedene Kleider von der Verleiherin bringen oder suchten und diskutierten selbst an den diversen Kleiderständern. Ich kann mich noch an ein sehr grünes Kleid erinnern, das Petra überhaupt nicht stand und ein viel zu großes für Gudrun, sie war einfach zu klein und wirkte verloren darin. Das Model und an Schönheit nicht zu übertreffen war für meine voreingenommenen Augen natürlich Sabine. Ihre schwarzen Haare und ihr wunderschönes Gesicht erhellten für mich den Raum, auch wenn Dunkles eigentlich nichts heller machen kann, oder doch? An der hinteren Seitenwand war eine Umkleidekabine mit Vorhang untergebracht. Die drei Damen nutzten sie eifrig zum Wechseln ihrer Kostüme.

Der Vorgang, auf den ich jetzt zu sprechen kommen möchte, war banal. Ich vermute, er ist den Damen nicht einmal aufgefallen. Der Einzige, der geradezu vom Blitz getroffen die Contenance verlor, war ich. Sabine probierte gerade auch ein Kleid an, ich glaube es war ein helleres mit Spitze. Jedes Kleid hätte ihr in meinen Augen gestanden, selbst ein Kartoffelsack. Jetzt war der Moment, in dem sie den Kabinenvorhang zur Seite schob, um herauszukommen. Sie drehte sich vor der Kabine um neunzig Grad und bat jemanden, ihr beim Schließen des Kleides am Rücken behilflich zu sein. Während sie sich drehte muss mir von dem Anblick schwindelig geworden sein. Die beiden Rückenseitenteile des Kleides klafften auseinander und entblößten fast ihren gesamten nackten Rücken. Ich war geblendet und atmete tief durch, weil ich verhindern wollte, dass die anderen meine Irritation und Ergriffenheit bemerkten. Dieser Rücken war makellos, erotisch, einfach schön. Dieser entblößte Rücken machte sie in meinen Augen gleichzeitig verletzlich. Der Anblick traf mich irgendwo ganz tief in mir. Du wirst wohl eine kleine sexuelle Erregung gehabt haben, werden Sie sagen, soll ja vorkommen. Das ist aber nichts Besonderes, Jungen in der Pubertät haben das ständig. Mag sein, dass auch an dieser Stelle etwas in mir in Bewegung gekommen war, aber die Makellosigkeit dieses so schön geformten Rückens einer Frau, die ich verehrte, berührte mich auch an einem ganz anderen stillen Punkt in mir. Vielleicht war das Herz diese Stelle, ich weiß es nicht.

Es ist Jahrzehnte her und will doch nicht aus meinem Gedächtnis weichen. Ich würde dieses Erlebnis als eines meiner erotischsten Augenblicke bezeichnen. War ich wirklich nur der kleine Voyeur, wie alle Männer, denen Röcke und Dekolletees nur Gelegenheiten sind, neugierig, heimlich und peinlich Frauen zu bewundern, die das Spiel längst durchschaut haben? Vermutlich blieb auch mein kurzer Blick nicht gänzlich unbemerkt, aber dass er einen derart tiefen Abdruck in meiner Erinnerung hinterlassen sollte, war niemandem, nicht einmal mir selbst, bewusst. Nur dunkel erscheint mir die Rückfahrt, auf der ich die drei jungen Damen nacheinander an ihren jeweiligen Orten wieder absetzte. Sabine war die letzte, daran erinnere ich mich gut und wie aufgewühlt mein Herz schlug und meine Gedanken sich nicht lösen wollten vom Bild dieses nackten Rückens, der jetzt von einem Mantel bedeckt im matten Straßenlaternenlicht sich langsam vor dem Hauseingang von mir entfernte.