Guido Rohms CrimeStories

Sorgen der KillerWeniger bekannte Autoren sind nicht zu beneiden. Sie schreiben sich das Blut aus den Fingern und nur weil sie nicht Mankell, Highsmith, Crombie, George, Nesser usw. heißen, haben ihre das herkömmliche Genre sprengenden literarischen Versuche im Mainstream keine Chance. Der Leser will ein bisschen Unterhaltung um das “Whodunit” herum, ein bisschen Psychologie, aber im Selbstverständnis angekratzt werden will er von der Lektüre nicht. Neue Wege beschreiten, die mehr als nur an der Oberfläche irritieren, könnte anstrengend werden. Krimis liest man zum Genuss, nicht um sich in Frage zu stellen. Genuss aber bereiten die Kurzerzählungen dieses kleinen Bandes, obwohl sie auch am Selbstverständnis kratzen allemal. Wirklich wegwischen kann man sie genauso wenig wie das Blut auf dem Cover.

Auch deshalb ist schon das vorangestellte Zitat von Jim Thompson aus “Der Mörder in mir” (1952) klug und sehr passend gewählt:

“Hast du dir mal überlegt, dass es viele Möglichkeiten des Sterbens gibt, aber nur einen Tod?”

killerinsidemeIn allen dreizehn Erzählungen der im Untertitel “’CrimeStories” genannten Sammlung “Die Sorgen der Killer” herrscht eine Art Minimalismus sprachlicher Mittel mit kurzen Sätzen, Wort- und Gedankenfetzen, die jedoch umso mehr Bedeutung in der Phantasie des Lesers einnehmen können. Barocke Sprachschwelgerei ist Guido Rohms Metier nicht, vielmehr präzise Worte, die wehtun können. Der bewusst zusammen geschriebene Begriff “CrimeStories” hat auch nichts mehr mit dem englischen Kurzkrimi zu tun. Ein wenig kommen sie wie verfremdete Momentaufnahmen aus amerikanischen Thrillern daher, in denen das Hotelzimmer der kriminellen Protagonisten zum Synonym für die eigene Fremdheit in der Welt wird.
Die erste Erzählung “Oktober” von dreizehn insgesamt ist von kurzen Absätzen geprägt, die den Duktus der Gedanken eines Serienkillers wiedergeben und den Erzählrhythmus bis zum Schluss bestimmen. Killer leben in einem melancholischen Universum. Sie gehen in Pornokinos, masturbieren unter der Dusche und morden aus krankhafter Verzweiflung. Aber ihr Ego ist dem unseren nicht unähnlich und das erzeugt eine faszinierende Verstörung, die zwischen Ekel und Wiedererkennung schwankt. Die Grausamkeit eines Frauenmordes nimmt beinahe zärtliche Züge an:

“Ich lege meinen Arm um sie und führe sie tiefer ins Gebüsch, denn ich will die Schwere der Schwermut von meinen Schultern nehmen.”

Die fast unschuldige Perspektive des Mörders lässt uns Leser frösteln. Im Hotelzimmer liegt eine Häkeldecke, die Mutter des Mörders ist alt und wird sterben. Der Killer als bemitleidenswertes Muttersöhnchen macht Angst, seine Psychopathologie ist erschreckend nachvollziehbar.

Die zweite Geschichte “Unterwelt” ist wie ein Taumeln durch Mythologie und Missbrauch im inneren Monolog. Absatzlos und mitreißend werden wir Zeuge, wie eine U-Bahn-Station für den psychisch kranken Lochner Züge der Hölle trägt, aus der er sich aufgrund des Missbrauchs durch den eigenen Vater nicht mehr befreien kann.
Die nächste Story “Offline” ist harter Tobak. Im Mittelpunkt steht der mit “du” angesprochene Mitarbeiter einer Organisation, die tödliche, sadistische Pornopraktiken nicht etwa als Snuff-Video filmen, sondern online für Mitglieder gegen immense Bezahlung übertragen. Der Protagonist selbst ist in einem Waisenhaus jahrelang vergewaltigt worden, die selbst erfahrene Gewalt setzt sich als nur scheinbar folgerichtig in ihm fort.
Der nächste Ich-Erzähler heißt Robert Beck, kurz Becky, so auch der Titel. Becky tötet seit langer Zeit junge Frauen, tarnt sich aber als Dorftrottel, den er in der ausgezeichnet geschilderten Kneipenszenerie zum besten gibt.
Dann dürfen wir in das biedere Wohnzimmer des alten Ehepaares Rudolf und Martha treten, in dem Rudolf sich selbst und seiner Frau Rechenschaft über seine Verstrickung in die Todeskommandos der Nationalsozialisten zu geben versucht, bezeugende Bilder musste er auf Befehl vernichten. Seine Schuld hat er in sich verschlossen, daher der Titel “Im Schloss”, aber er wird sie bis zu seinem Tod, der sich unmerklich in die verfallende Wohnung schleicht, nicht mehr los werden.
Die nächste ebenfalls ausgezeichnete Ich-Erzählung “Spion der Nacht” ähnelt am Anfang der Eingangssequenz aus Thompsons “Der Mörder in mir”. Ein an Verfolgungswahn leidender Psychopath ersticht seine eigene Freundin und verkleidet sich anschließend als sie, um zu entkommen.
Absolut beklemmend wird in der nächsten Geschichte von den letzten  “Noch 2 Stunden” eines Schülers erzählt, der ausgerechnet Opfer eines für ihn harmlos wirkenden Mitschülers wird, was an den Amoklauf von Winnenden erinnern lässt. Er verliebt sich im Bus auf der Fahrt zur Schule in ein Mädchen, das sein Bild erschrocken am anderen Morgen in der Zeitung finden wird. Immer steht auch eine abscheuliche Vaterfigur im Hintergrund, in diesem Fall ein unsensibler Vater, der nichts anderes als die Ballontitten seiner Trulla im Kopf hat. Aber auch von dem Mädchen und ihrem Freund heißt es am Schluss drastisch: “Sie werden in sein Zimmer gehen und ficken, während draußen die Totenglocken läuten.”
Die nächste Story gibt schon im Titel zu erkennen, dass sie chronologisch rückwärts erzählt wird, aber das geht dem Leser natürlich erst langsam auf. Er und der Protagonist werden in neun Teilen nicht nur K.O. gezählt, am Ende ist man mit Vincent von Skinheads “!toT” getreten worden. Wie nachvollziehbar personal der Leidensweg ins Nichts aus seiner Perspektive erzählt wird und mit welcher banalen Brutalität ein Mensch in einem Park, der sich mit nur zwei Worten wehrt, höhnisch ermordet wird, ist erschütternd.
In der Titelgeschichte “Die Sorgen der Killer” verfolgen wir einen seit fünf Jahren mordenden Serienkiller, der seine Opfer in Hotelzimmern nach der Tat in der Badewanne zerstückelt und nehmen regelmäßig in kursiv gesetzten Sätzen seine Gedankenwelt wahr, die ihn sich selbst in eine Art virtueller Filmwelt glaubt agieren zu lassen. Der Leser ist sich unsicher, ob die bellenden Hunde am Anfang und Ende seinem Kopf entspringen oder er tatsächlich verfolgt wird. Der Kopf des Killers wird zum eigenen. Die Sorgen der Killer spielen in einem psychopathologischen Bereich, der Züge des Irrealen trägt. Oft fungiert eine bestrafende Vaterfigur, die sogar missbrauchte, als eine Art Katalysatorfunktion.
Die nächste Erzählung “Unter Dampf” ist eine köstliche Parodie, die ihre Kulisse dem Film “Fitzcarraldo” von Werner Herzog mit Klaus Kinski zu verdanken scheint, denen sie gewidmet ist. Am Ende der Flussfahrt auf dem dahintreibenden Urwalddampfer bleibt nur der Größenwahn zurück. Der reiche Regisseur Stanley Haron tyrannisiert alles um sich herum, um dann selbst von seinem Koch und den Eingeborenen ermordet zu werden. Ein Journalist bleibt mit dem Koch allein auf dem abtreibenden Kahn, der mit seiner Flinte wahllos in den Dschungel feuert.
In “Fußstapfen im Schnee” wird eine Frau zur Mörderin in ihrem Wahn, ihr Geliebter käme als Kriegsheimkehrer von der Ostfront zurück. Der einbeinige Harald, den sie als Ersatz heiratete, mordet alle auf den Hof kommenden männlichen Rivalen, bis er selbst Opfer wird. Ein Schauer läuft einem über den Rücken, weil die Frau nun selbst ihre Liebhaber zu morden beginnt, aber auch, weil alles ihr Liebeswahn sein könnte, mit dem sie nackt wartend im Schnee steht und die angeblichen Spuren ihres toten Geliebten sieht.
Mit “Du” wird nun wiederum ein Mann adressiert, der einen Zettel hinter dem Scheibenwischer seines Wagens findet, auf dem die Worte stehen: “Deine Frau geht fremd”. In einem sich zum Rausch steigerndem Stakkato aus kurzen Sätzen werden die psychischen Auswirkungen auf den Namenlosen ins Übermäßige potenziert. Ausgang ungewiss.
Die letzte Erzählung “Leise Killer” beginnt wie eine Bildbeschreibung und stürzt ins Surreale, wenn das beschriebene dunkle Hotelzimmer voller Killer teil einer Ausstellung wird und sich die beklemmende Auftragsleere auf den Leser überträgt. Ein Killer versucht, sich dieser unwirtlichen Welt durch Flucht zu entziehen. Ob das Entkommen gelingt, darf bezweifelt werden.

Guido Rohms Geschichten haben immer doppelte Böden, sowohl für das dargestellte Personal, als auch für den Leser selbst. Daraus entsteht neugierige Spannung und gleichzeitiges Befremden. Zu einer Art Metakrimi gerät Guido Rohms ganz eigenes Kino im Kopf, das sich in ihm manchmal wohl ganz automatisch wie ein Daumenkino abspult. Mir gefällt dabei vor allem der vielfältige sprachlich-literarische Ansatz. Die Perspektive ist, wie das Motto am Anfang schon verrät, eine Identifikation mit den Killern selbst oder auch ihren Opfern. Ihre Sorgen aber werden uns auf immer wieder neu verstörende Art präsentiert und nahe gebracht. Wenn es an anderer Stelle hieß, mit “Eine kurze Geschichte der Brandstifterei” hätte Guido Rohm seine Poetik vorgelegt, so kann und will ich dem nicht widersprechen. Ich habe bisher nur die beiden Bände unten und ein paar Online-Erzählungen gelesen. Ob man das nun Metakrimi oder genresprengend nennt, für mich läge seine literarische Zukunft in einer Ausweitung der kleinen Kostbarkeiten an “Crime Stories” oder eben der “Brandstifterei” zu einem umfangreicheren Roman, der seine erzählerischen Qualitäten auf einer Marathonstrecke bündeln würde. Wenn er ihn nicht schreiben sollte, müsste man ihn dazu (br)an(d)stiften.

Guido Rohm_Die Sorgen der Killer