Guido Rohm: “Fleischwölfe. Der Roman zum Film” und “O [Null]. Eine Noirvelle”

Guido Rohm legt einen Doppelband mit zwei abgründigen, dunklen Erzählungen vor, die beide Untertitel tragen. “Fleischwölfe. Der Roman zum Film” und “0 [Null]. Eine Noirvelle” ähneln in ihrer Grundstruktur zwar Drehbüchern (der zweite Novellen-Untertitel lässt Assoziationen zum Begriff “Film noir” oder der “Schwarzen Serie” zu), sie sind aber viel mehr als Drehbücher. Ohnehin nur Bezug auf fiktive Filme nehmend, werden sie über das Kino im Kopf hinaus immer auch als Literatur allein aufgrund ihres ausgeprägten selbstreflexiven und lebendigen Gebrauchs der Sprache wahrgenommen und gelesen. Nur allein als kitzelnde Horror- oder Trash-Lektüre konsumiert zu werden, lehnen beide Texte ab. Durch die Inszenierung der Sprache, verweigern sich die Erzählungen, selbst zum bloßen Horrorkonsum zu werden. Den vom Horrorsujet allerdings bereits vorgegebenen Spannungsbogen nutzt der Autor geschickt aus. In einer Kette von “Point-of-view”-Kapiteln kommen wechselnde Protagonisten in Monologen und Dialogen zu Wort.

evo-fleischwc3b6lfe_cover-120712Zugegeben, zuerst dachte ich, ich sitze bei “Fleischwölfe” im falschen Film, die Poesie dieser lallenden, ganze Wortteile ständig verschluckenden Kindersprache wollte sich mir nicht sofort erschließen. Ein Dialog zwischen zwei Jungen, die auf einer abgelegenen Farm in einer sandigen Wüstenlandschaft in einem Käfig oder Verschlag sitzen und eine Szenerie beobachten, die beängstigend wirkt, weil man vom Titel her ständig an Kannibalen denken muss. Die beiden sind selbst in der Position eines Zuschauers vor einer Leinwand, auf der das grauenhafte Geschehen des zersägenden und zerstückelnden Vaters ständig interpretiert werden muss. Der eine ist der Sohn der Farmbesitzer, der andere eine Art Besucher, obwohl man das Gefühl von Anfang an nicht los wird, er würde als gefangenes Rotkäppchen gehalten und gemästet, um es später vertilgen zu können. Die gesprochene Sprache, die hier zur Schrift wird, kennzeichnet vor allem das Verschlucken von Wortteilen und eine stotternde Aussprache. Die ganze Art der Unterhaltung der Kinder lässt auf eine retardierte Entwicklung und soziales, unterstes Niveau schließen. Dennoch ist sich auch die Figur des Sohnes seiner eigenen Sprache bewusst und dominiert die Unterhaltung im ersten von insgesamt zehn Kapiteln der “Fleischwölfe”. Literatur gewordene Filmsprache eines B-Movies, die Kapitel szenenartig unterteilt, baut sich die Spannung gerade durch die knallharte Sprache auf, die im Unterbewusstsein des Lesers aus dem Kino bekannte Filmmixszenarien literarisch jetzt völlig neu aufbereitet.

Nach Atomtests ist die auf einer Farm in der Wüste lebende Familie Stern zu Kannibalen geworden. Ihr “Futter” erhalten sie durch einen einäugigen Polizisten, der Autoinsassen auf der Fernstraße abfängt. Der Sohn hält sich das Kind einer gefangen gehaltenen Familie als Hund. Der Mensch als Hund mit Lederhalsband und Stacheln ist als Sinnbild des Sadomasochismus jedermann gegenwärtig, der Baum der Erkenntnis wird aus dem Garten Eden in die Wüste verlegt, der korrupte einäugige Polizist, alles erscheint wie die stilbildenden Versatzstücke aus dem seit “Pulp Fiction” bekannten Genrekino. Wäre ein Drehbuch dieser Filme aber Literatur? Nein, der Autor schafft es dem “Schund” eine sprachlich-literarische Metaebene zu verleihen und die ist es, die dem Leser ein wenn auch zweifelhaftes Vergnügen bereitet. Eins, das ihn selbst auch als Medienkonsumenten zum Komplizen hirnloser Brutalität macht. Hier wird kein Groschenromanappetit bedient, sondern der Versuch gemacht, mit rein sprachlichen Mitteln uns die Brutalität, die Unmenschlichkeit ob ihres Stumpfsinns abstoßend zu machen und uns als Leser zu verstören. Ein zweiter Sohn ist als nicht mehr zu bändigendes Monster in ein Kellerverließ gesperrt. Am Ende wird das Kannibalennest ausgehoben und die Medien stürzen sich wie Aasgeier auf die Story. Überhaupt scheint der Olymp oder die härteste Währung für jeden seine Medienwirksamkeit zu sein. Medien machen in ihrer lüsternen Gier keinen Unterschied zwischen Tätern und Opfern. Die Sensation allein ist Garant genug für den Profit. In dem Gespräch mit einem getöteten Opfer der Schlächterfamilie Stern outet sich selbst noch ein Toter als süchtig und scharf auf mediengeilen Ruhm. Selbstentlarvender, makabrer Witz durchzieht seine Totensprache. Nur noch seine Medienpopularität stellt den eigentlichen Wert des menschlichen Individuums dar. Es steckt viel Kritik an der Art des Medienkonsums, aber auch Kritik an den Medien selbst in dieser Kannibalenstory.

Auf sprachlich ganz eigene Weise macht Guido Rohm die Versatzstücke unseres Horrorfilmgedächtnisses literarisch lebendig. Wenn uns der einäugige Pseudopolizist mit auf die Fahrt durch sein Kopfkino nimmt, ist eine Art Höhepunkt der Fantasieleistung des Lesers erreicht. Wir schauen auf Worte einer Figur, die einen Film in einem Film beschreibt, den es nicht gibt, weil er nur als Literatur existiert. Unendlichkeitsfirlefanz, bin ich im Gödel-Universum oder in einer Möbius-Schleife? Die phantasierte Innenwelt der Protagonisten zeigt aber nicht nur deren Defizite, sondern auch unsere eigenen. Das größte davon scheint das der Abstumpfung oder des Abhandenkommens der Fähigkeit zum Mitgefühl zu sein, das wir nur noch beim Konsum von Soap-Operas empfinden, aber in der Realität oft aus Selbstschutz heraus verleugnen. Es gilt die eigene Haut zu retten und sich als Schaulustigen zu rechtfertigen. Der Leser zuckt teils amüsiert aber auch verstört zurück. Die Banalität des Selbstverständnisses der Figuren könnte schlimmstenfalls Ähnlichkeit mit der eigenen haben.

“Ihre Hände sind von Schaum überzogen, nicht gekrönt, denn an einer Hausfrau entdeckt nur die Werbung Majästetisches.”

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Beide Erzählungen sind sprachlich formal konsequent durchgearbeitet. Beide Titelbilder passen in ihrer grellen Graphic-Novel-Manier zum Inhalt. In der zweiten Geschichte geht es um das beispielhafte Schicksal zweier Frauen. Susie und Sonja sind zwei Seiten derselben Medaille, die von den männlichen Übergriffen auf weibliche Identität zeugen. Schon als Kind unbeachtet schlitterte Susie in eine kleinbürgerliche Ehe mit Paul und hat einen Sohn Jochen von ihm. Im Sohn zeigt sich eine Parallele zur ersten Story, auch dort sind die Söhne durch eine autoritäre Vaterfigur und entsprechendes Familienmilieu abgestumpft. Überhaupt kommt die gutbürgerliche Familie hinter ihrer Fassade nicht gut weg bei Guido Rohm. Da wird missbraucht, geschlagen, psychisch gequält, der repressive Vater steht meist als Ursache im Mittelpunkt. Für Sohn und Vater ist Susie nicht mehr als Bedienung, Wasch- und Fickmaschine, die allenfalls den Hund ausführen darf. Das Bild des Hundes ist als gehorsames Opfer Story übergreifend. In der Kindheit war Susie unbeachtet, jetzt wird sie geschlagen und benutzt. Als auch ein rein sexuelles Verhältnis von ihr mit einem Dorfaußenseiter scheitert, bleibt nur noch die Selbstverstümmelung durch Schnitte in die eigene Haut und die Flucht in das Abbild und die Identität des bewunderten Sexidols Sonja, von der parallel erzählt wird. Sonja wurde in ihrer Jugend durch den Vater missbraucht, jetzt missbraucht sie ihr Manager, der immer größere Brustimplantate von ihr verlangt, um sie besser in den Medien und in dem “BLATT” verkaufen zu können.  Sonja wird vom Manager betrogen, sitzt einsam auf einer Restaurantterrasse und hat Halluzinationen von einem hässlichen, aber anziehenden Mann, der sie überredet, ihm auf seine Yacht zu folgen. Das ganze endet in einem wohl als Suizid zu wertenden Sturz über die Kaimauer ins Meer. So unterschiedlich die Frauen sind, beide leben in einer von Männern dominierten Atmosphäre, die eine biedere, kulturlose Trostlosigkeit ausdünstet. In einem Kapitel wird das ganze Elend eines Swinger-Clubs beschrieben, dessen Besuch Paul Susie aufdrängt. Im Gegensatz zum ersten Kurzroman ist die “Noirvelle” von einer Außenperspektive aus erzählt. Der Titel “Null”, durch die auf dem Titelblatt eine Schlange zu kriechen scheint um sie nicht für ein “o” zu halten, steht für das Nichts, in das sich die Frauen träumend wie in Luft auflösen, um sich aus der Brutalität der männerbestimmten Welt in die eigene zu flüchten. Der Kosmos des unterdrückenden Patriachats ist noch lange nicht ad acta gelegt. Dass Frauen meinen, ihre Brüste zu Ballons aufblasen zu müssen, zeugt von ihrer durch männliche Sexualwünsche bestimmten physischen und mentalen Deformation. Der Schrecken lauert in der Normalität dieser Milieuschilderungen. Susie endet in Wahnvorstellungen, jetzt selbst die gestorbene Sexbombe Sonja zu sein und wird an einer vermeintlichen Konkurrentin, die sie für Sonja hält, zur Mörderin. Der nun allein lebensunfähige Alkoholiker Paul wird von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt und die dunkle Dorfnacht verschluckt auch ihn. Formal wird das Ganze konsequent beinahe monoton einzeilig gesetzt, was aber ein bewusst eingesetztes Stilmittel ist. Genauso wie einzeln hervorgehobene Wörter in Majuskeln, die neue, manchmal auch doppeldeutige Bedeutungshöfe eröffnen.

Guido Rohm ist sich mit diesen beiden Kurzromanen treu geblieben. Er schreibt aufrüttelnd, tabulos und unprätentiös in seinem ganz eigenen Stil. Beide Erzählungen ritzen mutig an der gefälligen Medien- und Männerwelt, die wir alle in unserem Alltag oft nur allzu bereitwillig widerstandlos inhalieren.

siehe auch:
Guido Rohm: Leseprobe “Fleischwölfe” bei EVOLVER BOOKS
Guido Rohm: Eine kurze Geschichte der Brandstifterei
Guido Rohm: Die Sorgen der Killer