Procol Harum: A whiter shade of pale
Keith Reid (Text)
Gary Brooker (Musik)
Heute kein Buch, ein surrealistisches Gedicht, eine alte LP oder jetzt CD. Ich bin alt genug, um eine Art nostalgische Erinnerung an die Songs der Flower-Power-Zeit um 1967 zu haben. Damals sind mir zwar noch keine Meerjungfrauen begegnet und die Botschaft des Liedes war mir lange Zeit unklar. Zunächst schufen die englischen Worte ein mystisches Bild, die poetische Atmosphäre eines Schiffes und eine melancholische Sehnsucht des Erzählers nach verlorener Liebe in mir. Der wahre Schauplatz aber ist die Tanzfläche des Drogenkonsums und des Todes. Das Spiel mit der englischen Sprache ist nicht übersetzbar, egal wie lange man seine ”playing cards” und “cartwheels” durchwandert, aber um mir selbst den Sinn besser zu erschließen und als Herausforderung habe ich einen subjektiven Versuch gewagt:
(Seid gegrüßt, ihr alten Zeiten, und alle, die es zu verlieren gab)
WEISSER NOCH ALS BLEICHER SCHATTEN
Wir ließen ab vom Totentango
taumelten an Deck radschlagend kreuz und quer
Ich schien so was wie seekrank
Aber die Menge schrie nach mehr
Der Raum vibrierte förmlich
dann flog die Decke weg
Wir bestellten neuen weißen Fusel
Bedienung brachte ein Tablett
Und so kam es dann dass später
Als der Schneemann seine Geschichte gab
ihr Gesicht zunächst gespenstisch
weißer noch als bleicher Schatten war
Sie sagte, „Es gibt keinen Grund
die Wahrheit ist doch klar zu sehen“
Ich durchflog mein Spielerkartenbunt
so sollte sie nicht gehen
Als eine von sechzehn fragilen Jungfrauen
die vom Meer zur Küste hin entfliehen
Zwar waren meine Augen offen
doch beinahe genauso gut geschlossen
Und so kam es dann dass später
Als der Schneemann seine Geschichte gab
ihr Gesicht zunächst gespenstisch
weißer noch als bleicher Schatten war
Gefällt mir sehr gut, diese deutsche Version!
Auch in den schwieriger zu treffenden Tönen zwischen dem was (für mich) anklingt, und was es wohl vom Gemeinten her bedeuten soll. Den „Schneemann“ finde ich zwar etwas gewagt, aber er geht doch in Ordnung.
Ich hatte mich auch einmal daran versucht, weil das einer der Lieder war, die ich früher gar nicht richtig mochte, weil sie viel zu oft liefen, beliebig… die es dann aber sozusagen heraus ihrer eigenen Kraft immer wieder zu Wiederaufführungen in mir brachten. Einmal an heißem Sommertag in einem Straßencafé, und es kam vor Gefühl wegen dem Song in mir (und wegen der Sonne) in meinem Kopf zu einem Moment intensiver Verwirrung.
Deshalb hatte ich mich dann später an einer Übersetzung versucht, aber wurde nie damit zufrieden. Wurde dann eine ganz gute Seite Prosa.
Nach drei Jahren ein Kommentar, selten, aber nett von Ihnen. So ganz gelungen ist mir z.B. die dritte Strophe mit den „vestal virgins“ dann doch nicht, man feilt und feilt und feilt… Es gibt so viele Zusammenhänge, der surrealistisch anmutende Text lädt zur Spekulation ein. Grundsituation ist so etwas, dass ich mit dem Titel Ihrer Erzählsammlung „Erste Lieben“ in Zusammenhang bringen würde, ohne Ihr Buch zu kennen. Die Rezension von Herrn Keuschnig hat mich aber sehr neugierig gemacht.
Der Orgelspieler in seiner schwarzen Mönchskutte drückt die fast religiöse Stimmung des Songs bekleidungsmäßig aus und die Tanzfläche damals, da lässt sich melancholisch sinnieren, wieviel heute bereits Tote auf ihr noch tanzend zu sehen sind. Die Zeit damals war aber auch eine des Konsums von Drogen, harmlose wie Haschisch (Dope) oder schwerere wie Kokain, LSD und Heroin. Der Schneemann meint deshalb, obwohl in der Zeile darüber noch von Alkohol die Rede ist, bei mir die Assoziation mit weißem Drogenstoff. Andererseits ist natürlich die Konnotation zur zweiten Erzählung „Miller´s Tale“ aus Geoffrey Chaucers „Canterbury Tales“ offensichtlich, auch wenn Reid dies wohl nur unterbewusst verarbeitet hat. Die Canterbury Tales kenne ich nur verfilmt von Pasolini und Ihre Erzählungen noch gar nicht. Ich beantrage eine Lebensverlängerung um mindestens hundert Jahre, damit ich noch alles lesen kann, was mir so über den Weg läuft. Schön, dass Sie sich zu mir verirrt haben!
Herzlichen Gruß
Der Buecherblogger
Faszinierend!
Mein Erlebnis und der Grund mich damals mit dem Text zu beschäftigen ist ja von 2009 – aber solche Dinge haben ja manchmal eine eigene Präsenz und verjähren dann nicht. Ich hatte mir Ihren Versuch auch kurz kopiert und das Lied noch mal gehört und mich eingefühlt … und finde Ihren Text jetzt noch besser!
Den Bezug zu „Miller’s Tale“ hatte ich ganz vergessen – obwohl ich mich jetzt erinnere dem damals kurz gefolgt zu sein. Allerdings sind meine Kenntnisse in diese Richtung arg oberflächlich.
(Übrigens bin ich wie Sie ein großer Freund der Südamerikaner. Nicht aller, aber Cortazar gehört ganz sicher dazu, Bolano entdecke ich eigentlich erst nach und nach. Mag ihn aber schon sehr. Ich erlaube mir deshalb mal ganz direkt zu fragen – ER also mein Liebling -: Was halten Sie von Onetti?)
Aber zurück zu der von Ihnen gesehenen / interpretierten Bildlichkeit in whiter shade. Ich folge Ihnen doch weitgehend, obwohl ich meine visuellen Anklänge – seit jenem Sommertag: eigentlich hätte ich den Song für strahlende Hitze nicht ganz passend empfunden – jetzt etwas umgeschichtet finde. Ich hatte bisher, nicht nur wg. dem „sea sick“, die Szenerie eher ins Maritime, ein wenig zur englischen seaside hin (Brighton etwa) oder an Bord eines Luxusdampfers verlegt, allerdings auch nicht zu ausdrücklich. Und wohl auch mehr wg. persönlicher Reminiszenzen – die mir jetzt auf einmal noch klarer werden. Diese manchmal tief eingeschriebenen Lieder sind Träger unscharfer aber hochverdichteter „Information“.
Ich wünschte, ich hätte meinen eigenen Übersetzungsversuch von damals nicht gelöscht, um mal meine Bildlichkeiten mit den aktuell transponierten zu vergleichen.
Meine letzten Übersetzungsversuche betrafen John Donne, und ich fand sie insgesamt nicht mal so schlecht. (John Donne kommt übrigens in einer der Erzählungen der „Ersten Lieben“ vor; einen Eindruck bekommen Sie hier.)
Auf (einer meiner Langzeit-Favoriten) Pasolini und auch auf meine Drogenzeiten gehe ich jetzt wohl besser nicht ein…
Erfreut demnächst weiter bei Ihnen zu lesen…
Drei Jahre stand die aus der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek entliehene Werkausgabe Onettis im Regal hinter meinem Schreibtisch. Gelesen habe ich, auch weil mir die hundert Jahre doch nicht einfach so geschenkt werden, nur den Kurzroman „Für ein Grab ohne Namen„. Gefiel mir, aber wahrscheinlich erdrückte mich die Gesamtseitenzahl der drei Bände. Ich habe sie wieder abgegeben. Selbst das schmale Bändchen „Pedro Páramo“ von Juan Rulfo steht nur angelesen im Regal. Man wird zu oft von Neuem abgelenkt. Die zweite Hälfte von „Rayuela“ wartet immer noch, leichtes Erröten, als hätte ich wie früher meine Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht. Gerade las ich Ihren „Sonntagsauszug“, „lazy sunday afternoon“ auf sprachlich vollkommen neue Weise. Dieses tief in sich Hineinhorchen bis zu den kleinsten verschütteten Erinnerungen und Empfindungen hat mich sehr positiv überrascht. Ich wollte am Ende weiterlesen.
Wir scheinen auch eine Schwäche für Gitarren- und Lautenmusik zu teilen. Allerdings war mir John Dowland und die Lachrimaen nicht gleich bekannt. Kulturlücken allenthalben. Sie sehen, wie oberflächlich ich doch bin. Bei John Donne fällt mir immer zuerst Hemingway und „For whom the bell tolls“ ein. Aber Halbbildung verleitet dafür weniger zur Einbildung. Man weiß ja nie, welch flüchtige Bekanntschaften das Bloggernetz bereit hält, aber die Ihre wäre mir auf den ersten Eindruck sicher nicht die schlechteste. Also werde ich mich auf „rainerrabowski“ wohl mal etwas länger umsehen. Vielleicht gefällt Ihnen als Sonntagskonzert ja auch das „Concierto de Aranjuez“ von Julian Bream gespielt.
Meine größte lateinamerikanische Literaturschwäche aber wird wohl Roberto Bolaño bleiben.
Einen schönen Sonntag kann ich Ihnen nach Ihrer Erzählung gar nicht mehr so einfach wünschen, aber ich tue es trotzdem…
Herzlich
Der Buecherblogger
Zuerst einmal Dank für Ihre freundlichen Worte – nachdem ich eine längere Pause beim Bloggen eingelegt habe ist es auch für mich jetzt wieder spannend und angenehm mich ein bisschen einzufinden und auf einer anderen Plattform nach mir sympathischen Geistern zu suchen.
Grämen Sie sich nicht wegen Onetti – mit dem werden die Wenigsten warm. Für mich war er seinerzeit ca. parallel mit Borges (das war allerdings Zufall) d e r Öffner nach Südamerika; nur Cortazar war früher. Onetti aber verkörpert für mich doch das Wesentlichere SA (Borges mir mehrere Ticks zu europäisch fast), nämlich – mutmaßlich mit dem Kontinent – eine gewisse Weite, die auch der damit angrenzenden, als spezifisch geltenden Geistigkeit ein paar Kapillare mehr als üblich öffnet (auch ohne die gleich etwas zu papageien-bunte Exotik eines Marquez).
Vargas Llosa hat zur Einführung in den onnetti’schen Kosmos ein nicht ganz schlechtes Buch geschrieben („Die Welt des J.C.O.“) – falls es Ihnen mal in die Finger kommt… Aber ich verstehe auch, dass man sich irgendwann konzentrieren will, das geht mir längst ähnlich. Die drei bisher gelesenen kürzeren Bolanos gefallen mir dagegen ohne Einschränkung und ich werde demnächst weiterlesen. Und mir dann auch bei Ihnen ein bisschen Begleitlektüre holen.
Das mit den Sonntagen und den guten Wünschen dahin geht schon in Ordnung – heute, bei genug Muße und Abstand von früheren Zwängen, gefallen sie mir wieder.
So wünsche auch ich Ihnen da sonnige, beste … durchgehend angenehme Stunden.
(Und danke für’s Lesen!)
R. R.