Last Exit Selfstorage II

Da lag ich nun in diesem Speicherraum, das Blut aus meinem linken Arm war längst am Boden getrocknet und meine toten Augen starrten ins Dunkel. So sah also mein ganz persönliches Ende aus, ich hatte mich heimlich selbst entsorgt. Der letzte Raum, den ich mir für meinen Suizid ausgesucht hatte, besaß den klaustrophobischen Charme einer Fahrzeugwaschanlage mit einem sterilen Krankenhausflur davor. Er war beängstigend leer und schien nur darauf gewartet zu haben, das ihn endlich etwas funktional ausfüllte. Mein mitgebrachter einziger Alibikoffer und die beiden Reisetaschen standen jetzt verloren in der Ecke. Nur mit mir und meinem Vorhaben, mir die Pulsader aufzuschneiden, hatte er wohl nicht gerechnet. Was kümmern einen Toten noch Räume und weshalb frage ich mich, was diese Räume von mir halten, wieso unterstelle ich ihnen menschenähnliche Erwartungen? Vermutlich aus dieser kalten, sauberen Einsamkeit heraus, die sowohl die Flure, als auch sie selbst erfüllt. Dann wären diese Räume womöglich genauso einsam wie die Menschen, die sie mieteten, aber wenigstens gab dieser jetzt meiner eigenen Leiche Schutz vor einer frühzeitigen Entdeckung. Zwei Einsame, ich und der Raum, in beiden hatte sich der Tod ausgebreitet.
Vielleicht träumte ich aber auch nur bereits gestorben zu sein und die Nichtigkeit meiner vergangenen Existenz machte mir zu schaffen. Hätte das Gegenteil meiner Bedeutungslosigkeit jedoch wirklich etwas geändert? Es gab doch einfach keine zweiten Versuche, alles geschah unwiderruflich. Man konnte nur in eine Richtung laufen, weil die Zeit nur in eine Richtung lief. Beschrieb man die Vergangenheit, war man wie ein Schwimmer, der gegen den Strom kämpft, doch dem Fluss war das egal, dieser Fluss, den man hinab trudelte, das Leben selbst, hatte keinerlei Bewusstsein. Der biologisch-physikalische Ablauf kannte weder Moral noch Mitgefühl, er war ein blind ablaufender Prozess.
Hier jedenfalls ist nichts mehr Natur, alles wird überstrahlt von klinischer Sterilität. Die Sauberkeit glänzt wie chirurgischer Stahl. Nur ich mit meinem Blut und halbtotem Körper bin wohl das einzige Stück Natur, wenn auch ein ziemlich lebloses. Die giftgrünen Ausgangsschilder unter der Decke draußen in den schmalen Gängen weisen wie letzte Erinnerungsfetzen einer völlig künstlich lebenden Spezies auf ein prähistorisches Naturzeitalter hin. Mich führen sie auf keine Wiese zurück und irgendwie kann ich mir auch kaum vorstellen, sie täten das für andere. Die Welt da draußen wird  genauso aussehen wie hier, in ihrem kaltem Licht blendend, unerbittlich einsam und leer. Sie, von der ich glaubte, nur sie allein könne mich ein wenig vor dieser kalten Einsamkeit bewahren, ist fort, für immer und ich selbst bin schuld daran. Ja, ich gebe zu, schwere Schuld auf mich geladen zu haben, denn schließlich erinnere ich mich noch an das Geräusch, als der Wagen sie erfasste. Sinnlos überfahren an einer Kreuzung, das Schicksal wünscht man niemandem. Ebenso wenig wie in diesem sterilen Lagerraum von eigener Hand abzukratzen oder durch Gänge zu taumeln, die nirgendwo hinführen als zu Räumen, die mit etwas im Moment Überflüssigem gefüllt und dann wieder geleert werden. Von ganz allein ist sie nicht vor das Auto gefallen, zumindest hätte ich versuchen können, es zu verhindern.
War da nicht eben ein Geräusch, als ob ein Vorhängeschloss klappert, vielleicht eine Tür langsam aufschlägt? Aber welche Tür und in welcher Welt sollte das sein? Wo ich bin, gibt es nur noch meine innere Stimme und die antwortet mir immer dasselbe: “Du bist da, wo man von Anfang an sein Dasein fristet, in deiner ureigenen Hölle.” Endlich weiß ich, wohin ich mich wirklich entsorgt habe. Das Neonlicht der Flure, die ich bis zu meinem letzten Refugium passierte, ist das gleißende, kalte Licht eines eisigen, gefrorenen Sees in mir.