Bloggerwelten: Tummelplatz der Avatare. Der Wert des Impressums am Prenzlauer Berg. Ein Kommentar und meine Antwort.

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Der fingierte Autor und Internet-Avatar Aléa Torik beim Blick in den Spiegel. Ein älterer männlicher Autor inszeniert sich als rumänische, junge Frau, die an der Humboldt-Universität in Berlin studiert und angeblich gerade ihre Dissertation schreibt.

Alban Nikolai Herbst kommentierte:

Lieber Bücherblogger, wie immer auch meine persönliche Haltung zu Aléa Torik sei: Ich denke, daß Sie einen Fehler begehen. Zum einen kommt es tatsächlich nur darauf an, ob der Roman gut ist – etwas, das ich auch für mich selbst weder entscheiden kann noch will; das hat indes tatsächlich rein persönliche Gründe. Wenn er gut ist, finde ich, bei aller verständlichen Mißstimmung, es einen schlechten Dienst an guter Literatur, solch ein Outing vorzunehmen. Und zwar, weil Sie damit dem Roman die Chance nehmen, angemessen betrachtet und besprochen zu werden. Wir haben nicht sehr viele mutige Leute unter den großen Kritiker:innen, alle sichern sich irgendwie ab, und Ihre Intervention, bzw. – sofern, was Sie meinen, stimmt – Enthüllung wird eher dazu führen, daß man sich vorsichtig abkehrt. Das hat selbstverständlich damit zu tun, daß Aléa Toriks Präsenz geradezu ideal für unseren Buchmarkt wirkt: eine Rumäniendeutsche, die zudem jung und ganz offenbar sehr gutaussehend ist und außerdem, u.a., noch über Körper schreibt, also das Sexbedürfnis bedient, ohne dabei zotig oder pornographisch zu werden – auf was denn mehr wartet dieser Markt und warten, seien wir doch ehrlich, die Leser? Selbst dann, wenn Sie also recht hätten, nähme Ihre Invektive diesem Projekt die Chance, die tatsächlich wirkenden Marktstrukturen zu entblößen.
Ich bedaure das.
Zum anderen sind literarische Maskenspiele auch in der Realität voller Beispiele, von denen man ebenfalls sagen könnte, die Dichter hätten ihre Leser angeschmiert. Denken Sie etwa an D‘Annunzio, dessen angeblicher Tod erst ihn berühmt gemacht hat – da war er noch etwa so jung, wie zu sein Aléa Torik angibt. Sprich: sie stünde in einer Traditionslinie auch sehr großer Literatur, zu der zweifelsfrei D‘Annunzios Lyrik gehört. Oder denken Sie an B. Traven, der erst sehr spät als Ret Marut erkannt wurde.
Des weiteren sind wir alle, soweit wir unter Pseudonymen auftraten, im Netz Avatare, ja das Netz selbst ist ein Stück Literatur, und zwar nachpostmodern realistischer. Es gehört darüber hinaus sehr viel Geschick dazu, etwas glaubhaft vorzustellen, was man vielleicht nicht ist, und das vor allem in einer Sphäre zu tun, die einem überhaupt nicht vertraut ist. Wenn Sie recht haben sollten mit Ihrer Enthüllung, dann haben wir es mit einer täuschenden Meisterleistung zu tun, von der sich jeder, der darauf hereingefallen wäre, fragen müßte, inweit nicht er oder sie selbst mit an der Täuschung schuld habe: Wollten wir getäuscht vielleicht werden, eben, weil jemand etwas von unseren innersten Wünschen bedient hat?
Wie geschrieben, ich kann und will nicht entscheiden, ob es sich um einen guten Roman handelt. Das ist aber sehr gut möglich. Ich selbst halte mich wegen einer persönlichen Enttäuschung von ihm fern. Wiederum, daß es mit einer solchen möglichen Maske auch moralische Probleme gibt, etwa was die Glaubwürdigkeit von politischen Aussagen anbelangt, ist mir bewußt. Es ist aber nicht Sache der Dichter, moralisch einwandfrei zu sein. Die größten unter denen waren das nie, nicht einmal der politisch so engagierte wie Brecht. Und vielleicht ist die eigentliche Literatur Aléa Toriks gar nicht das Buch, sondern eben die Aktion. Daß sie Kitsch sei, kann ich bei allem nicht sehen; Kitsch entsteht nicht, indem man die Perspektive wechselt, sondern er ist allein eine Frage des Formniveaus. Bei dem, worüber Sie so klagen, müssen Sie sich statt dessen fragen, das ist meine Meinung, ob nicht Sie selbst ihn hergestellt haben. Denn wenn Ihre Enthüllung wahr ist, dann hat Aléa Torik auf einen Knopf bei Ihnen und vielen anderen gedrückt, und alle sind angesprungen, wie bei Pavlovschen Hunden Speichel fließt.
Daß solch eine Form der (Selbst)Erkenntnis schmerzhaft ist, allerdings, das verstehe ich. Das war Aufklärung indessen stets.

Ihr
ANH

Der Buecherblogger antwortete:

Lieber Herr Herbst,

als “Invektive” möchte ich meine Veröffentlichungen nicht verstanden wissen. Ich habe nie die Absicht zu beleidigen und wenn Sie die Epoche der “Aufklärung” für “schmerzhaft” halten, dann ist diese von mir geschaffene Transparenz es sowohl für mich als auch für den “Fiktionär”, um einen Begriff aus Ihrer Emailadresse zu verwenden. Eigentlich sollte diese Diskussion auf “Aleatorik” stattfinden, aber die “Anordnungen” dort lassen das natürlich nicht zu. Was ist ein Blog wert, der zensiert, was ihm nicht passt? Wenn Sie die Lüge oder das Schwindeln, fingierte Identitäten als literarische Kunstfertigkeit aufwerten wollen, muss ich Ihnen ebenfalls widersprechen. Ausserhalb des Kunstraums steht dies sogar unter Strafe. Was meine Projektionen angeht, steckt sicher etwas Wahres in dem was Sie sagen. Aber jemanden zu einem “Pawlowschen Hund” zu machen, soll ehrenvoll sein? Ich erinnere natürlich zu gut, dass es, nachzulesen bei litblogs.net 2010Die Banater Emmanuelle” (Herbst) und “Der Herr der Dschungel” (Torik), zwei angebliche Kontakte Ihrerseits mit dem “geschlechtslosen Fiktionär” gegeben hat. Natürlich habe ich Ihrer beider Veröffentlichungen damals für Fiktion gehalten, Ihre hatte einen ziemlich sexistischen Beigeschmack. Vermutlich war das Absicht. Die angeblich junge Dame hat damals ja den Wunsch in Ihnen geweckt, ihren Busen zu berühren. Aber in der Welt der reinen Fiktion können Sie selbst natürlich nicht zum “Pawlowschen Hund” werden. Da spielen Sie gemeinsam auf der aleatorischen Tastatur. Das zweite Mal hat der “Fiktionär” eine Ihrer “Löwinnen” auf einer Party in einer Bar mehr oder weniger für deplaziert gehalten. Machen sie mir also bitte keine Vorwürfe, ich hätte meine sexuellen Phantasien auf “Frau Torik” projiziert. Wenn Sie sich die Mühe machen, meine Besprechungen zu lesen, müssten Sie merken, dass diese von anderen Interessen geleitet sind. Da Sie B. Traven erwähnen, in einer privaten Email hatte ich “Frau Torik” geraten, sich doch nicht als solchen zu verhalten. “Sie” ist hinter ihrer Maskerade selbstverständlich nicht darauf eingegangen. Das Direktive der ganzen Vorgehensweise in dem Blog ist mir mittlerweile zuwider. Zensieren, Löschen, als Stalker denunziert werden und nur das stehen lassen, was genehm ist. Verstehen Sie das etwa unter Gedankenaustausch? Die künstlerische Freiheit sollte gerade darin bestehen, das eigene Ich schmerzhaft in den Schaffensprozess einzubeziehen. Das eigentliche “Ich” kommt allerdings bei einer “Camouflage” dieser Art erst gar nicht zum Tragen. Sie verstehen das gesamte Internet als Literatur. Dieser Ansatz kommt mir etwas neoromantisch vor, die Welt als Oper und Spiel. Die realistische Epoche des Romans ist zwar längst vorbei, aber die Postmoderne sollte nicht alles zur Disposition im Irrealen stellen. Jeder erfährt täglich eine Realität, auf die auch Literatur Bezug nehmen sollte. Langsam scheint die neue deutsche Literatur zum Kasperletheater zu verkommen. Ich danke Ihnen natürlich für Ihren erschöpfenden Kommentar, aber sollten Sie nicht auch die Größe besitzen, sich selbst als Mitwisser zu erkennen zu geben? Mitwisser leiden natürlich von vornherein wesentlich weniger unter den Folgen einer Täuschung. Halten Sie eine fingierte Biographie als wirklich für den Leser zumutbar. Der Prozess des Lesens hält doch auch ständig ein Autorenbild im Hintergrund bereit. Die vielbeschworene reine Textimmanenz vernachlässigt doch alle die Literaturwissenschaft interessierenden Forschungsgebiete außerhalb des Romans. Ich selbst bin kein Avatar und Sie können gern morgen bei mir zum Kaffeetrinken vorbeikommen, dann öffnet Ihnen ein grauhaariger 58jähriger Mann die Tür, der ziemlich genauso wenig Haare auf dem Kopf hat wie Sie. Und falls ich jemals in meinem Leben noch so etwas wie einen Roman schreiben sollte, dann wird es ein radikal autobiographischer. Möglicherweise wird er schlecht, aber dann ist es ein Versuch gewesen, die Spielwiese zu verlassen und ein Stück Ehrlichkeit zu retten. Sie haben das Buch nicht gelesen, es hat Höhen und Tiefen und an manchen Stellen ist es penetrant harmonisch, was eine andere Umschreibung für Kitsch ist. Verstehen Sie mich richtig, ich suche keinen Streit, ich möchte vielmehr mit der Person, die sich so hartnäckig versteckt, endlich einen wirklichen Dialog von Mensch zu Mensch beginnen und eigentlich Frieden schließen.

Ich grüße Sie herzlich, auch wenn ich bisher nicht viel mehr als “Lena Ponce” von Ihnen gelesen habe

Ihr

DH

Dietmar Hillebrandt alias Der Buecherblogger