Sonntagsbüchersixpack Vier Biographien
Ich muss zugeben, dass mein Bestand an Biographien mehr als schmal ist und unter den von mir eine Zeit lang gesammelten rororo-monographien befindet sich nur eine Frau: Jeanne d´Arc. Aber wie schon gesagt, dies ist eine “reale” Auswahl, keine in irgendeiner Form typisierende. Alle Bände stehen tatsächlich irgendwo verstreut im Haus. Andere Präferenzen ergäben sich bei mir sicher, suchte ich nur irgendwo, was mich mal interessiert hat. Diese rechteckigen, gebundenen oder gelumbeckten Papierstapel aber sind leibhaftiger Besitz. Ob sie meinem Geist deshalb näher sind? Viel was ich las, war auch nur geliehen und befindet sich wieder in einer öffentlichen Bibliothek. Wahre Bibliophile sind wohl auch besessen vom Besitz. Allein deshalb scheiden für sie Ebooks, die man nur leihen kann, nicht einmal verschenken, als Sammelobjekt wahrscheinlich aus. Ein Leben, das man mit der Schrift abbilden oder erzählen will, wird zwangsläufig zur Fiktion, sei der behandelte Gegenstand wie bei einer Biographie, auch durchaus real gewesen. Mit noch so großer Sachlichkeit behandelt, wird er zur Fiktion des Biographen. Ob man in der Schrift überleben kann, scheint die Grundfrage und der Antrieb des Schriftstellers. Nur den religiös bedingungslos Gläubigen stellt sie sich anscheinend nicht. Dabei kann Schrift natürlich auch ein Mittel der Manipulation sein.
Anstatt einer Bibliographie die jeweils letzten Sätze aus den abgebildeten Büchern als Zitat:
Hölderlin: Gewässer aber rieseln herab, und sanft
Ist hörbar dort ein Rauschen den ganzen Tag;
Die Orte aber in der Gegend
ruhen und schweigen den Nachmittag durch.
Proust: Auch wir richten unseren Abschiedsgruß an den, der so sehr gelitten hat, damit die Sonne seines Werks erstrahle, jetzt, da sie ihm nicht mehr weh tut.
Schiller: Das Marbacher Dramenverzeichnis ist die Buchführung des bürgerlichen Dichters. Jahrelang hat es Schiller auf dem letzten Stand gehalten, hat durchgestrichen, was erledigt war, hat am Rand die Jahre der Entstehung, des Abschlusses, des Schreibens eingetragen. Für Dramenpläne stehen in der Liste Namen von historischen Figuren, Ereignisse, Begebenheiten, «Wahres» und «Erfundenes», Hausväter und Helden – die bürgerliche Utopie der Weltaneignung im ästhetischen Modell und ihre Übereignung an Instanzen.
Che Guevara: Für die reichen Nationen dieser Erde und für die korrupten Regierungen, die über so viele arme Nationen herrschen, ist der tote Che ein furchtbarer und herrlicher Feind.
Modersohn-Becker: «Wie schade», waren ihre letzten Worte.
Gutenberg: Und die Drucker sind stolz auf ihren Beruf, der sich mit keinem anderen Handwerk vergleichen lässt. Sie wissen, dass durch Gutenbergs Erfindung in ihre Hände die zauberhafte Macht gelegt ist, das Wort zu vertausendfachen.
Eine witzige Auswahl und interessante Gedanken, lieber Bücherblogger, denen ich auf einem kurzen Sonntagsgedankenspaziergang einfach mal schlendernd folge.
Was macht uns aus? Der Besitz von Büchern? Deren Lektüre? Wahrscheinlich ein bißchen von allem, denn welche Bücher wir uns wann zulegen können oder wollen oder beides auch nicht, gehört sicher ebenso dazu.
Ich bin sicher keine Bibliophilin und sammle Bücher nicht nach strengen Auflagen (obwohl ich mich mit E-Books verdammt schwer tue), aber bestimmte Bücher bewahre ich auf, weil sie beispielsweise mal zum Leben meiner Eltern dazu gehörten. Als meine Mutter vor ein paar Jahren ihren Studentenbestand aussortierte, konnte ich Bücher wie „Kommune 2“ einfach nicht dem Altpapier überlassen. Ich las das Buch sogar durch, fremdelte mit vielem darin und trotzdem wird es in meinem Regal verbleiben.
Biografien widerum liebe ich wirklich sehr und trenne mich davon definitiv nicht, es sei denn der Biograf/ die Biografin hat großen Murks gebaut. Dabei zählt für mich weniger, ob die Biografie zur Fiktion geworden ist, manchmal kann das durchaus einen besonderen Reiz ausmachen, eher wie offen der Biografierende damit umgeht, wie stark er/ sie das eigene Wertesystem der realen Person aufzuzwingen versucht. Eine Art Biografie (eine Sammlung von Schicksalen), die ausgesprochen persönlich ist, in der sich die Biografin explizit immer wieder mit ihrer Haltung auseinandersetzt, was einen ungeheuren „Wert“ des Buches ausmacht, ist „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ von Swetlana Alexijewitsch.
So, jetzt werde ich mal einen Blickspaziergang durch mein Regal streifen lassen und alte Bekanntschaften auffrischen… Herzliche Grüße von Mila
Es freut mich natürlich, dass mein Beitrag Sie animiert hat, Ihre Gedanken weiter zu spinnen und die eigenen Bücherregale nach Biographien zu durchforsten. Zu einem Waldspaziergang lud das gestern teilweise stürmische Schneechaos auch nicht gerade ein. Ich bin zum Beispiel auf der Fahrt in den Süden zu einem Besuch der Eltern, meine Mutter wurde 79, auf der Autobahn in Stau und Schneewehen hängen geblieben und musste umkehren. Deshalb meine etwas verspätete Antwort. Ich war „On the road“. „Kommune 2“ klingt, als ob Ihre Eltern „Alt-Achtundsechziger“ sind oder waren. Erinnert mich spontan an ein kleines Heftchen, das sich gegen die Volkszählung, ich glaube 1984, wehrte. Schmeiße ich auch nicht weg, vermutlich eine spezielle Form der Nostalgie. Dass Sie dieses Buch über das Schicksal der Rotarmistinnen erwähnen, ist insofern interessant, als man unter Biographien primär wohl nur Einzellebensläufe versteht und von der Gattung „Kollektivbiographien“ oder weniger sozialistisch „Sammelbiographien“, „Gruppenbiographien“ oder was auch immer, besitze ich keine einzige. Anscheinend hat mich zunächst immer nur die individuelle Größe interessiert oder fasziniert. Vermutlich etwas vom Nachhall eines falschen Geniekomplexes, dass nur der exzeptionell Einzelne in seiner Besonderheit hervorsticht. Lässt mich auch an das gemeinsame Schicksal der Japanerinnen bei Julie Otsuka denken. Herzlichen Dank, dass Sie ihre Gedankenspaziergänge hier bei mir teilen.
Eine schöne Auswahl!
Ich bin gleich nach dem Lesen deines Beitrags aufgestanden und habe in meinem Regal geschaut, ob ich eine Frau unter den rororo Biografien besitze. Ja, die Paula Modersohn-Becker. Von ihr besitze ich allerdings drei Biografien, die, die du heute vorstellst, steht auch in meinem Regal!
einen schönen 2. Advent, Susanne
Ich habe mir gedacht, diese Sixpack-Reihe jeweils unter ein Thema zu stellen. Wenn das dazu führt, dass die eigenen Regale nach der jeweiligen Kategorie durchstöbert werden, freut es mich, einen Anstoß gegeben zu haben. Die Kategorie Kunst der rororo monographien oder Biographien von Künstlerinnen allgemein werden bei Ihrem eigenen künstlerischen Schaffen vermutlich bevorzugt. Ich hatte früher einmal den Vorsatz, alle rororo monographien zu sammeln, irgendwann hat sich das dann aber verlaufen. Herzlichen Gruß zurück vom Buecherblogger.
Ja, es ist schwer, alle rororo monographien zu sammeln. Ich kann selten wiederstehen, wenn ich sie auf den Buchtrödel sehe. Ja, es stimmt außer Thomas Mann und Pasternak habe ich nur Künstlerbiografien von rororo monographien im Regal.
Für die Kunst mag ich im Moment die Reihe Kunst Stück aus dem Fischer Verlag. Diese Serie hätte ich gerne vollständig! Sie wird vom Verlag leider nicht weiter fortgeführt.
Ich habe gerade den Rembrandt aus der Serie gelesen
Herzliche Grüße Susanne